Vorgeschichte

Ende Oktober 2021 wurden 11 kolorierte Kupferstiche aus dem Stadtmuseum Bad Neuenahr-Ahrweiler dem Studiengang Papierrestaurierung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (ABK) zur Restaurierung übergeben. Die Graphiken waren im Juli 2021 während der massiven Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen stark geschädigt worden. Die Naturkatastrophe hatte in der Region rund um das Ahrtal neben vielen privaten Haushalten die Bestände von fünf Museen schwer und von drei weiteren leicht beschädigt. Besonders stark betroffen war das Stadtmuseum Ahrweiler.

Die aus dem Stadtmuseum Ahrweiler im Juli 2021 geborgenen Objekte wurden überregional auf Institutionen und freiberufliche Restaurator*innen verteilt. So nahm das Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) insgesamt 50 Gemälde, 250 Papierobjekte und weitere Objekte an. Am ZKM wurde das geschädigte Kulturgut in Kooperation mit dem Notfallverbund Karlsruhe in einem ersten Schritt von dem teils auch kontaminierten Schlamm befreit. Das ZKM übernahm auch die Verteilung der Objekte zur weiteren restauratorischen Bearbeitung.

Die Graphiken kommen an den Studiengang

Leonie Rök (im Foto links), Papierrestauratorin am ZKM, übergab die 11 Graphiken dem Studiengang Papierrestaurierung an der ABK Stuttgart

Was sind das für Graphiken?

Die kolorierten Kupferstiche gehören zu den Collections des Prospects, einer Serie von Guckkastenbildern mit Ansichten europäischer Städte und Häfen. Sie wurden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Augsburg gedruckt und vom Verlag der Kaiserlichen Franziskanischen Akademie (1755 gegründet) vertrieben. Das Foto zeigt den Moment der ersten Sichtung. Man sieht, dass der Wasserschaden bei rückseitig kaschierten Werken eine starke Einrollung erzeugt hat.

Zwei Graphiken wurden ausgewählt: Motive und Schäden

Einer der beiden für die Restaurierung ausgewählten Kupferstiche zeigt eine Ansicht des Hafens von Toulon in Südfrankreich, gestochen nach einem Gemälde von Claude Joseph Vernet, Port de Toulon (1755). Links befindet sich eine deutschsprachige, rechts eine ausführlichere französische Beschreibung. Diese weist darauf hin, dass es sich um die seitenverkehrte Kopie des Gemäldes in königlichem Besitz handelt und von einem Marquis de Marigny bestellt wurde. Die Graphik war mit einem Gewebe kaschiert, eine ungünstige Montierung, denn wegen ihr hat sich das Blatt beim Wasserschaden stark eingerollt. Die links aufliegenden Glasplättchen halten die Graphik flach für die fotografische Dokumentation. Außerdem ist das Papier bräunlich fleckig und verschmutzt.
Kupferstich vor der Restaurierung
Der zweite für die Restaurierung ausgewählte Kupferstich zeigt eine Ansicht mit der Peterskirche in Wien und dem benachbarten Wachthaus. Die Bildunterschrift ist viersprachig in Latein, Französisch, Italienisch und Deutsch angelegt. Bei dieser Graphik bestand der schlimmste Schaden aus Schlammverkrustungen, die das Bild am rechten Rand unlesbar machten. Außerdem gab es mechanische Beschädigungen, vor allem Einrisse und Falten im Bildbereich, Verluste der Kolorierung im Himmel und starke bräunliche Flecken im Papier.
Kupferstich vor der Restaurierung
Die starken mechanischen Schäden der Kupferstiche zeigen sich im Streiflicht (in von links einfallendem Licht) noch deutlicher. Hier sieht man bei der Ansicht von Wien zahlreiche scharfe Knicke und Verwellungen. Einige Knicke könnten zwar auch durch eine historische Nutzung entstanden sein, der Wasserschaden hat sie aber verstärkt. Kleinere Fehlstellen und Einrisse sind ebenfalls zu erkennen.
Besonders ausgeprägt sind die Schlammablagerungen an der rechten Seite der Ansicht von Wien. Die horizontal ausgerichteten Schlieren lassen vermuten, dass der Schlamm seitlich in einen Stapel von Graphiken eingeschwemmt wurde.

Entfernen der Gewebekaschierung

Die Gewebekaschierung vom Kupferstich "Toulon" ließ sich problemlos ablösen, denn die Verklebung war durch den Wasserschaden bereits gelockert worden. Das Gewebe ließ sich mit zwei unterschiedlichen flachen Spateln – aus Teflon und Metall – trocken abheben, ohne dabei die Rückseite der Graphik zu beschädigen. Beim Abheben der Kaschierung wurden an den beiden Seitenkanten der Graphik zwei beschriftete Papierstreifen enthüllt: das waren historische Makulaturpapiere, mit denen die Graphiken früher für die Handhabung verstärkt worden waren. Auf deren Erhaltung werden wir im weiteren Verlauf des Blogs eingehen. Im Foto sieht man Teile der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) von Irina Vorat. Sie bestand aus Handschuhen, Arbeitsmantel und Maske. Um den Kontakt mit dem möglicherweise kontaminierten Schlamm zu vermeiden, kam auch eine Arbeitsbank mit Absaugung zum Einsatz.

Entfernen der Schlammablagerungen I

Einige Schlammablagerungen ließen sich gut abnehmen, andere hingegen hafteten fest auf der Papieroberfläche und erforderten eine intensivere Behandlung. Die beiden Fotos zeigen zwei unterschiedliche trockene Reinigungstechniken. Besonders vorsichtig wurden die empfindlichen Aquarell- und Deckfarben in den kolorierten Bereichen behandelt (Bild links). Dafür wurden speziell für die Restaurierung vorgesehene Radiergummis als frisch geriebene Krümel vorsichtig über die Oberfläche bewegt. In den nicht kolorierten Bereichen wurden kleine Stücke von Latexschwämmen verwendet (Bild rechts). Auch die Rückseiten beider Graphiken wurden mit Latexschwämmen gereinigt.

Entfernen der Schlammablagerungen II

Einiger Schlamm war so tief in den Poren der Papieroberfläche gelagert, dass eine instrumentelle Reinigungsmethode erforderlich war. Mit dem Weichpartikelstrahl-Verfahren haben wir feine Partikel aus Cellulose mit leichter Druckluft genutzt, um den festgebackenen Schlamm abzutragen. Das Institut für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut in Ludwigsburg stellte dafür freundlicherweise die Arbeitsstation (im Foto links) und das Gerät (im Foto rechts) zur Verfügung.
Nachdem wir den Weichpartikelstrahl an Musterobjekten voreingestellt hatten, wurden die Cellulosepartikel in gleichmäßigen Bahnen auf die Oberfläche der Graphik aufgestrahlt. Die Intensität des Strahls wurde über den Luftdruck, den Abstand und einen flachen Auftragswinkel reguliert. Im unteren Teil des Fotos ist gut erkennbar, dass die intensiven Schlammkrusten auf der Graphik "Wien" sich erfolgreich abtragen ließen. Alle kolorierten Bereiche wurden ausgespart, weil sie für diese Behandlung zu fragil waren.

Wässern I: Löschkarton-Stapel

Nach der erfolgreichen Abnahme der Verschmutzungen wurden die braunen Verfärbungen mit wässrigen Behandlungen entfernt. Dieses Ausschwemmen wasserlöslicher Abbauprodukte war außerdem wichtig für die langfristige Stabilisierung der Graphiken. Auch bei dieser Behandlung mussten die kolorierten Bereiche geschützt werden. Deshalb haben wir mit einer vorsichtigen Wässerung in einem Stapel gefeuchteter Löschkartons begonnen. Bei diesem „blotter washing“ wurden die vorgefeuchteten Graphiken jeweils zwischen zwei gefeuchtete Löschkartons gelegt. Der Stapel wurde leicht beschwert. Die Vorderseite der Druckgraphiken mit den Kolorierungen war bei dieser Behandlung mit Polyestervlies geschützt. Im Reinigungsprozess können wasserlösliche Abbauprodukte aus der feuchten Graphik in den feuchten Löschkarton diffundieren.

Wässern II: Unterdrucktisch

Die Wässerungsbehandlung im Stapel (s. vorigen Eintrag) entfernte bereits einige Verfärbungen. Durch diese zurückhaltende Behandlungsform konnten wir die Wasserempfindlichkeit der beiden Graphiken zu überprüfen und feststellen, dass die Farbaufträge einen weiterreichenden Wasserkontakt tolerieren würden. Daher konnten wir die Wässerung mit einer Behandlung auf dem Unterdrucktisch intensiveren. Auf dem Foto ist die Behandlungssituation zu sehen. Die zuvor durch Befeuchten gedehnte Graphik liegt plan auf nur leicht feuchten Löschkartons. Sie wird gerade von oben mit Wasser besprüht. Eine Vakuumpumpe unter dem Aufbau schwemmt durch den entstehenden Unterdruck wasserlösliche farbige Abbauprodukte aus dem Papier in den Löschkarton. Das mit Calciumhydrogencarbonat angereicherte Sprühwasser hinterlässt gleichzeitig eine alkalische Reserve im Papier.
Beide Kupferstiche wurden auf dem Unterdrucktisch gewässert. Besonders wasserempfindliche Bereiche wie der mit Deckfarben kolorierte Himmel in der Ansicht von Wien (im Foto zu sehen) wurden bei dem Aufsprühen der wässrigen Behandlungslösung vor übermäßigem Wasserkontakt geschützt, indem sie mit einem Löschkarton abgeschirmt wurden. Beide Graphiken wurden im Anschluss zwischen Filzen getrocknet.
Anschließend wurden beim Kupferstich "Toulon" die beiden Makulaturstreifen noch einmal befeuchtet, um sie wurden mit einem Spatel abzunehmen. Die Streifen werden künftig zusammen mit der Graphik aufbewahrt, um bei einer späteren Auswertung weitere Hinweise auf die Objektgeschichte geben zu können.

Konsolidieren

Die mit Deckfarbe kolorierten Bereiche wurden konsolidiert. Dazu wurde ein Aerosolgenerator verwendet, mit dem stark verdünnte Methylcelluloselösung durch eine feine Düse über den Farbaufträgen vernebelt wurde. Zuerst wurde der Aerosolnebel großflächig aufgetragen, in einem zweiten Durchgang wurden besonders fragile Bereiche noch einmal gezielt bearbeitet. Die Konsolidierung mit Methylcellulose hat die abriebempfindlichen farbigen Bildbereiche gesichert.

Einrisse schließen

Kleine Einrisse wurden gesichert. Einige waren bereits vor der Flut restauriert worden, aber diese Reparaturen hatten sich durch den Wasserschaden gelöst. Zum Sichern wurde ein aus Kozo-Fasern gefertigtes Japanpapier verwendet, dass dem Farbton des Originalpapiers entspricht. Diese Verstärkungen wurden auf der Rückseite des Originals mit Kleister angeklebt. Kleine Fehlstellen wurden mit passendem Papier ergänzt.

Falten reduzieren

Beide Kupferstiche wurden befeuchtet und in einem Stapel aus Löschkartons plangelegt. Danach wurden noch verbleibende, besonders auffällige Quetschfalten gemildert. Dazu wurden die gestauchten Bereiche mit einem Pinsel und demineralisiertem Wasser leicht benetzt und anschließend durch ein Vlies mit einer Rundkopfnadel geebnet – das ist auf dem Foto zu sehen.
Die Quetschfalten wurden ausschließlich außerhalb der empfindlichen Farbmedien behandelt. Die Verringerung ausgewählter Falten (Pfeil) kommt im Streiflicht gut zur Geltung.

Ergebnis

Dieses Foto zeigt die Hafenansicht von Toulon vor (links) und nach (rechts) der Restaurierung.
Dieses Foto zeigt die die Ansicht der Peterskirche in Wien vor (links) und nach (rechts) der Restaurierung.

Fazit

Die komplexe Restaurierung umfasste neun verschiedene Arbeitsvorgänge. In ihrer Gesamtheit haben sie den Zustand der Graphiken deutlich verbessert. Die Graphiken sind wieder gut lesbar und ansprechend anzusehen. Ihre langfristige Beständigkeit ist deutlich erhöht. Irina Vorat (im Foto zweite v. l.) hat mit ihrer Bachelorarbeit gezeigt, dass die flutgeschädigten Radierungen des Stadtmuseums Ahrweiler erfolgreich restauriert werden können. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen nun der Bearbeitung der neun anderen schlammgeschädigten Kupferstiche aus der Augsburger Serie Collections des Prospects. Darüber freuen sich die Lehrenden (im Foto links Irene Brückle, rechts Ute Henniges) und Studierende (im Foto zweite v. r. Inga-Maria Teichert). Wir freuen uns, dass der Stuttgarter Studiengang der Papierrestaurierung das Stadtmuseum Ahrweiler mit einem Beitrag zur Restaurierung der flutgeschädigten Werke unterstützen kann.

Fortsetzung

Zwei weitere kolorierte Kupferstiche aus der Serie Collections des Prospects mit Ansichten europäischer Städte und Häfen wird restauriert. Die Guckkastenbilder wurden im 18. Jahrhundert in Augsburg veröffentlicht. Der erste Schritt in der Restaurierung der schlammgeschädigten Graphiken ist das vorsichtige Ablösen der direkt im Bildbereich anhaftenden Schlammreste.

Danksagung

Unser Dank gilt zuerst Heike Wernz-Kaiser vom Stadtmuseum Bad Neuenahr-Ahrweiler für ihr Vertrauen und für die hilfreichen Informationen. Darüber hinaus bedanken wir uns bei Leonie Rök vom Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, denn Sie hat das Projekt initiiert. Unterstützt wurden wir bei der Entfernung des Schlamms von den Graphiken durch das Institut für Erhaltung des Landesarchivs Baden-Württemberg in Ludwigsburg.

Zitierweise des Blogs: Irina Vorat, Irene Brückle, Ute Henniges. Sicherung flutgeschädigter Graphiken aus dem Stadtmuseum Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ein Beitrag zur Rettung von Kulturgut nach der Flutkatastrophe 2021.